VIII – Robert Koch und sein Institut – Der Aufstieg der Bakteriologie und ihrer Kriegsrhetorik, 1880-1918

Lektürebasis:
Christoph Gradmann, Die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde der Menschheit. Bakteriologie, Sprache und Politik im Deutschen Kaiserreich, in: Stefanie Samida (Hg.), Inszenierte Wissenschaft. Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert, Bielefeld 2011, S. 61-82.

In Zeiten, in denen die Nachrichten wochenlang von Meldungen des Robert Koch-Instituts und dessen Experten dominiert waren, und diese weiterhin und voraussichtlich für viele Monate noch eine der wichtigsten beratenden Stimmen der Bundespolitik sein werden, scheint es angebracht, sich als HistorikerInnen mit dem Hintergrund dieser Institution zu beschäftigen.
Die Auseinandersetzung mit medizinischen Verbrechen während des Dritten Reichs wird dabei vom Institut selbst seit einigen Jahren intensiv gesucht (dazu z.B. Marion Hulverscheidt und Anja Laukötter (Hg.), Infektion und Institution. Zur Wissenschaftsgeschichte des Robert Koch-Instituts Im Nationalsozialismus, Göttingen 2009). Wichtig ist aber auch die Forschung dazu, auf welchem ideologischen und wissenschaftlichen Fundament diese Verbrechen begangen wurden. Das heißt, noch einen weiteren Schritt zurück zu gehen, und die Entstehung des Instituts im Kontext der Bakteriologie Robert Kochs und der von ihm genutzten Kriegsmetaphorik zu betrachten. (Hierzu maßgeblich: Silvia Berger, Bakterien in Krieg und Frieden. Eine Geschichte der medizinischen Bakteriologie in Deutschland 1890-1933, Göttingen 2009; sowie Marianne Hänseler, Metaphern unter dem Mikroskop. Die epistemische Rolle von Metaphorik in den Wissenschaften und in Robert Kochs Bakteriologie, Zürich 2009.)

Durch Robert Koch und den Kreis seiner Mitarbeiter wurden ab 1875 die grundlegenden Techniken der mikrobiologischen Laborarbeit entwickelt – Bakterienfärbung, Mikrofotografie, systematische Tierversuche. In rascher Folge wurden damals die Erreger bekannter Infektionskrankheiten wie Cholera, Diphterie oder Tuberkulose identifiziert. Diese Erfolge führten zum Siegeszug der Bakteriologie im Kaiserreich, teils wegen mit ihnen verbundener Erlösungsfantasien, teils, weil die Bakteriologie für den Staat eine attraktive Alternative zum bis dahin von einigen Medizinern (wie Rudolf Virchow) verfochtenen Modell der sozialen Ursachen von Krankheiten darstellte.
Die Koch’sche Bakteriologie dagegen ging von einer „Feindschaft“ von Ärzten und Erreger aus; Krankheitsprozess sowie Kranker wurden daher in der Forschung und ihrer Kommunikation ausgeblendet. Dies zeigte sich in den Schriften Kochs, allerdings auch in der Reaktion der Öffentlichkeit, wie zeitgenössische Karikaturen zeigen, in denen Bakterien anthropomorphisiert wurden, und als listige Gegenspieler der Ärzte dargestellt wurden.

Koch blieb jedoch hinter seinen eigenen Erwartungen zurück; sein Versuch, ein tatsächliches Mittel gegen einen der entdeckten Erreger zu entwickeln, das Tuberkulin, wurde 1891 zu einem medizinischen Skandal. In der Phase der Euphorie über dieses Serum wurde allerdings noch in einer „Jubelsitzung“ des preußischen Landtags im November 1890 die Gründung eines „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“ beschlossen, das Robert Koch leiten sollte (und heute nach ihm benannt ist).
Bei der Legitimierung der Finanzierung dieses Unternehmens spielte es eine große Rolle, dass Robert Koch und andere Vertreter der Bakteriologie sich einer Rhetorik bedienten, die sich eines wilhelminisch-militärischen Vokabulars bediente und dadurch als staatstragende Wissenschaft inszenierte.

Wenn Sie sich aber die großen Aufgaben vergegenwärtigen, welche dem Institut [für Infektionskrankheiten] gestellt sind, dann werden Sie selber sagen, daß da mit kleinen Mitteln nichts gemacht werden kann; es muß, wenn der Kampf gegen die Infektionskrankheiten wirksam unternommen werden soll, eine vollständige wissenschaftliche Mobilmachung erfolgen, da darf es in nichts an der Rüstung fehlen.“ – Friedrich Althoff, damals Ministerialdirektor des Kultusministeriums, in der „Jubelsitzung“ des preußischen Landtags am 29.11.1890

Das Ersetzen sachlicher Argumente mit dieser Kriegsrhetorik wurde auch aus der Not heraus geboren, aus einer eigentlich schwachen Position heraus staatliche Subvention zu fordern: die tatsächlichen Maßnahmen gegen Volkskrankheiten blieben gleich (Aufklärung der Bevölkerung, Einrichtung von Krankenhäusern und Heilstätten), während die Bakteriologien sich gleichzeitig als Vorkämpfer eines neuen Paradigmas darstellten. Auch aus dieser Situation heraus forderte Robert Koch 1902 in seinem Aufsatz „Bekämpfung des Typhus“, in die „Offensive“ gegen Krankheitserreger zu gehen, woraufhin der preußische Staat die erste und gleichzeitig bis heute größte bakteriologische Untersuchung einer Bevölkerungsgruppe in der Geschichte durchführte: Im zukünftigen Aufmarschgebiet der deutschen Armee, in den Grenzgebieten zu Frankreich bei Trier, wurden ab 1904 zehn Jahre lang 85 Bakteriologen stationiert, die insgesamt 3,5 Millionen EinwohnerInnen auf typhus abdominalis prüften. Damit verbunden war der „planmäßige Feldzug gegen den Typhus“ und damit die „Reinigung“ des zukünftigen Aufmarschgebiets.

Diese „Offensive“ kulminierte in der Errichtung eines sanitären Grenzwalls, einem Bollwerk aus riesigen Sanierungsanstalten entlang der Ost- und Westgrenze des Reiches. Besondere Angst herrschte vor Osteuropa, vor allem seiner jüdischen Bevölkerung.

Die Hauptgefahr droht wie meist aus dem nahen und fernen Osten […] Dabei muss damit gerechnet werden, dass weder bei den Russen noch bei den Engländern, die in erster Linie diese halbwilden Elemente gegen uns loslassen, etwas Durchgreifendes gegen die Seuchen unternommen wird.“ – Erich Martini, deutscher Sanitätsoffizier, 1915

Im letzten Kriegsjahr wurde die deutsche Grenze osteuropäischen Juden gar ganz verschlossen, weil die Gefahr durch deren „Unsauberkeit“ als zu groß eingeschätzt wurde.

Insgesamt lassen sich aus der Betrachtung dieser Entwicklungen mehrere Thesen fassen:

  1. Kochs Kriegsmetaphorik war für die Bakteriologie konstitutiv: sie ersetzte häufig Argumente und sicherte ihm und seinem Institut Ansehen und finanzielle Förderung (siehe dazu Hänseler 2009).
  2. Die Kriegsrhetorik der wilhelminischen Bakteriologen steigerte die Verklärung des Krieges in der Gesellschaft auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg. Die bakteriologische Vorstellung der vollständigen und permanenten Vernichtung des Feindes als Kriegsziel sowie die scheinbar absolute Unausweichlichkeit dieses Krieges leisteten einen Beitrag zu der Kriegssehnsucht im Kaiserreich.
  3. Die Metaphorisierung des Verhältnisses von Menschen und Mikroben ermöglichte die Gleichsetzung von Menschen mit Mikroben. Das Bild der hinterhältigen, allgegenwärtigen Feinde, wie von Koch entworfen, wurde in letzter Konsequenz zu einer Prämisse der Shoah, während der Juden mit Insektizid umgebracht wurden.

In Bezug auf den letzten Punkt muss betont werden, dass es bestimmte Begriffe und Konnotationen in Bezug auf Slaven und „Ostjuden“ natürlich schon vor den 1890ern gegeben hatte (man denke z.B. an den „Weichselzopf“). Dennoch schaffte die Epoche Kochs eine neue Qualität dieser gefährlichen Vorurteile unter dem Deckmantel der Verwissenschaftlichung antisemitischer Stereotype.

Auch heute noch ist das Thema Kriegsrhetorik in der Medizin ein aktuelles: 2005 fand in den USA ein Workshop des Forum on Microbial Threats des Institute of Medicine mit dem Titel „Ending the War Metaphor“ statt. Fünfzehn Jahre später, während der aktuellen Pandemie, redete der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache zum Thema Covid-19 im März davon, das Land befinde sich „im Krieg“ gegen „einen Feind“ (https://www.youtube.com/watch?v=NO9LZtosHoE). Umso mehr Gründe also, sich die historische Herkunft dieser Rhetorik bewusst zu machen und sie in ihren heutigen Erscheinungsformen kritisch zu betrachten.

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten