VI Tuberkulose – Eine romantisierte Krankheit

In unserem Seminar „Epidemien und Krisen im östlichen Europa“ beschäftigten wir uns am 8. Juni mit dem Thema Tuberkulose.

Tuberkulose ist bekannt als die „Seuche der städtischen Armen“ und ist bereits so alt wie die Menschheit selbst. Der älteste bewiesene Fund eines Tuberkuloseerkrankten ist 500.000 Jahre alt. Bereits die Ägypter klagten über diese Krankheit. Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit die zumeist in einer Lungentuberkulose auftritt und Knochen und Wirbel angreift. Erkrankte Arbeiter auf Baustellen wurden „Huster“ genannt. Die Seuche gelangte von Afrika über Asien nach Europa. Die größte Aufmerksamkeit erhielt sie mit Beginn der landwirtschaftlichen Revolution. Der Erreger wurde von Tieren auf Menschen übertragen und fand durch die neuartige Verbindung zwischen Vieh/Haustier und Mensch einen neuen Wirt im Menschen. Vor allem wenn neue Stadtkulturen entstanden und damit neue Ballungsräume, häuften sich die Krankheitsbilder der Tuberkulose.

Im alten Griechenland bezeichnete Hippokrates die Krankheit als „Phitis“, was übersetzt so viel wie „Dahinschwinden“ bedeutet. Deshalb hat Tuberkulose auch den Namen Schwindsucht. Gerade unter der ärmeren Bevölkerung und Sklaven gab es eine weite Verbreitung. Dies ist vor allem den mangelnden Hygienebedingungen und der mangelnden Versorgung an sauberem Wasser und Nahrung zu verschulden. Da Bakteriologie und Virologie relativ neuen Erscheinungen sind, hatten die Menschen früher auch keine Kenntnis darüber wie sich der Erreger weiterverbreitet, wie z.B. durch Tröpfcheninfektion. Während der Christianisierung hatte man sich „angespuckt, um sich vor dem Bösen zu schützen“ was letztendlich für weitere Infektionen sorgte.

Wie auch bei anderen Epidemien und Pandemien in der Geschichte wurden die Infizierten in separate Krankenhäuser außerhalb der Stadt gebracht und in Quarantäne versetzt. Ebenfalls wurden persönliche Gegenstände und Möbel verbrannt.

Tuberkulose stellte lange Zeit einen der häufigsten Todesgründe dar, allerdings nicht nur in den Städten mit dichter Besiedlung, sondern auch auf dem Land. Erst im 19. Jh konnte Tuberkulose von anderen Krankheiten klar abgegrenzt werden als Robert Koch, ein deutscher Mediziner, Mikrobiologe und Hygieniker, 1882 das Tuberkulose-Bakterium entdeckte und herausfand, dass die Krankheit durch Mikroorganismen verursacht wird. Damit gelang es ihm Infektionsweg und Erreger zu identifizieren und ebnete damit den Weg für zukünftige Therapie- und Präventionsmaßnahmen. Eine Heilung war aber noch nicht in Sicht. Hermann Brehmer fand jedoch heraus, dass ausreichend frische Luft und Sonne den Krankheitsverlauf milder gestalteten und so eröffnete er 1852 das erste Sanatorium für systematische Frischlufttherapie.

In der Kultur wurde Tuberkulose in allen Bereichen aufgegriffen. Sowohl Kunst, als auch Literatur beschäftigten sich mit diesem Thema. Auffallend ist jedoch, dass es als eine „romantische Krankheit“ oder „der weiße Tod“ bezeichnet wurde. Durch Kunst und Literatur wurde die Krankheit ästhetisiert und in Werken wie „Die Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli oder „Der Zauberberg“ von Thomas Mann verewigt. Die Krankheit wurde in einem stark romantischen Bild dargestellt und die äußerlichen Merkmale wie eine dünne Statur, blasse Haut, rote Wangen und Lippen wurden nach einiger Zeit zu einem Schönheitsideal.

Deshalb fragten wir uns in unserem Seminar, wie kann es dazu kommen, dass eine Infektionskrankheit, die das Todesurteil für einen Infizierten besiegelt, zum Schönheitsideal wird? Wäre es umgekehrt nicht logischer?

Dies könnte mehrere Gründe haben. Zum einen wurde Tuberkulose durch das Aufgreifen in Kunst und Literatur ästhetisiert. Es wurde zu Beginn nicht sofort mit dem Todeseffekt in Zusammenhang gebracht, da der Krankheitsverlauf sich über viele Jahre erstrecken kann. Eine weitere Begründung wäre, dass zum Beispiel im viktorianischen England bereits vorhandene Schönheitsideal mit den äußerlichen Merkmalen der Krankheit überein. Des Weiteren wurde gerade bei Frauen Tuberkulose mit Schwächlichkeit und Kränklichkeit in Verbindung gebracht, was einen gewissen Beschützerinstinkt erweckt haben könnte. Ein weiterer Grund könnte die Verbindung mit dem Stand einer Person sein. Arme Menschen arbeiteten die meiste Zeit draußen auf dem Land auf ihren Feldern, weshalb sie eine gebräunte Hautfarbe hatten, wohingegen wohlhabendere Menschen aus den höheren Ständen mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbrachten und eher helle und blasse Haut hatten. Die Ästhetisierung und Romantisierung einer tödlichen Infektionskrankheit wirkt irritierend. Wie kann das Todesurteil eines Menschen diesen attraktiv machen? Wie kann die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist sich ebenfalls zu infizieren nicht weitaus abstoßender sein? Wie können die äußerlichen Merkmale einer Krankheit zum Schönheitsideal werden? Krankheiten jeglicher Art verbindet man eigentlich mit negativen Bildern und Gefühlen. Dennoch konnte man diesen Trend der Ästhetisierung auch in späteren Epochen beobachten. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beispiel gab es den „Heroin Chic“-Trend, bei dem das abgemagerte Bild eines heroinabhängigen Menschen vor allem bei Frauen zum Schönheitsideal wurde.

Des Weiteren stellte sich die Frage, wie die Lebensrealität eines Tuberkuloseerkrankten aussah. Wie bereits weiter oben erwähnt, konnte man selbst mit einer ausgebrochenen Tuberkuloseerkrankung trotz allem noch viele Jahre leben. Es kam immer auf den Verlauf und die Schwere der Krankheit. Goethe zum Beispiel musste sein Studium zwischendurch pausieren, wohingegen Kafka erst in den letzten Jahren seines Lebens kürzertreten musste. Meist traf es die ärmere Bevölkerung mit einer besonderen Härte, da diese nicht die Mittel hatten sich ausreichend gegen Epidemien zu schützen. Die Armen lebten auf viel engerem Raum zusammen und in größeren Ballungsräumen. Das kann man aktuell auch während der Coronapandemie beobachten. Gerade in Deutschland hört man vermehrt von Masseninfektionen in Schlachthöfen, Wohngemeinschaften oder ähnlichen Massenzusammenkünften, gerade in denen die Arbeits- und Lebensverhältnisse weit unter dem Durchschnitt liegen. Als Reaktion auf Tuberkulose wurden in der DDR und der Sowjetunion die Lebensbedingungen der Menschen mit modernem Städtebau erheblich verbessert. Verbesserungen wurden vorgenommen in z.B. Infrastruktur, Lebensmittelversorgung und Häuserbau.

Eine der „Heimtücken“ der Tuberkulose ist, dass die Krankheit nicht zwingend ausbrechen muss, man jedoch die ganze Zeit als Träger ansteckend ist. Dies lässt sich mit den asymptomatischen Coronainfizierten vergleichen, die keinerlei oder kaum Symptome haben, jedoch trotzdem weitere Menschen anstecken können. Diese Tatsache stellt ein großes Problem für die Entwicklung von Präventivmaßnahmen gegen Epidemien und Pandemien dar.

Einen großen Unterschied stellt die Ethnisierung der Infektionskrankheiten dar. Corona zum Beispiel wurde als „Chinesische Krankheit“ deklariert und es kam vor allem während der ersten Ausbruchswelle in Europa und den USA zu Fällen von Diskriminierung von als chinesisch vermuteten Menschen. Während vieler Epidemien und Pandemien wurden bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Ethnien als Sündenbock und Schuldenträger dargestellt. Bei der Tuberkulose ist dies jedoch nicht aufgetreten. Da Tuberkulose schon seit langer Zeit auf der Welt besteht, wurde vermutlich nie eine Verbindung zu einer bestimmten Ethnie aufgestellt oder diese wurde im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende vergessen.

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