V Epidemien und Seuchenbekämpfung in anderen Kulturen: Osmanisches Reich und Japan

Basierend auf: Nükhet Varlik, Plague and Empire in the Early Modern Mediterranean World: The Ottoman Experience, 1347–1600, Cambridge 2015, S. 55-89.
Christopher Aldous, Akihito Suzuki, Reforming Public Health in Occupied Japan, 1945–52: Alien Prescriptions?, London 2011, S. 19-40.

Die Beschäftigung mit historischen Modellen des Umgangs mit Seuchen zeigt immer wieder, dass sich vor dem Siegeszug der modernen Bakteriologie und des damit verbundenen Wissens um Hygiene einige Praktiken durchsetzten, die in sich aus heutiger Sicht widersprüchlich waren, aber trotzdem schon den eingeschlagenen Weg in Richtung medizinischer Klarheit erahnen lassen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Pest im Osmanischen Reich und die Maßnahmen, die gegen sie getroffen wurden.
Dabei ist anzumerken, dass dort in dieser Periode das Problem besteht, dass die Pest in den wichtigsten schriftlichen Quellen, also den Chroniken, nicht dargestellt wurde, weil solche „trivialen“ Themen erstens überhaupt selten Eingang in diese Schriften fanden (die eher politische und militärische Ereignisse festhielten), und weil zweitens diese Epidemie mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches zusammenfiel, und in der damaligen Vorstellung Seuchen und deren Darstellung eher mit dem Niedergang von Imperien verknüpft waren, weshalb man sich damit nicht beschäftigen wollte. (Eine ähnliche Situation des „Schweigens der Quellen“ besteht zum Beispiel in Indien, das ebenso sehr mit Epidemien zu kämpfen hatte, was sich in den dortigen Chroniken allerdings nicht spiegelt.)

Was aber bekannt ist, ist, dass es (ebenso wie beispielsweise in Italien oder Ostmitteleuropa) große öffentlich durchgeführte Gebete gab, um Gott darum zu bitten, die Pest nicht weiter auszubreiten, und dass manche aus betroffenen Gebieten flüchteten (und die Krankheit dadurch natürlich ebenso weiter verbreiteten), um damit vor der „Bestrafung Gottes“ zu fliehen.
Es gab allerdings auch Überlegungen, die schon in Richtungen zeigten, wie sie in vorherigen Beiträgen zur Pest im nördlicheren Europa später eingeschlagen wurden: Es herrschte schon eine Vorstellung davon, dass so etwas wie Ansteckung existiert. Tinkturen aus Essig, eingelegte Zitronen und Orangensaft sollten gegen die Pest helfen, man wusch sich zur Prävention im Hammam (zog danach allerdings wieder die gleiche Kleidung an wie vorher) und hatte auch schon Flöhe im Verdacht, etwas mit Epidemien zu tun zu haben. Allerdings im umgekehrten Sinne, als sich Jahrhunderte später herausstellte: Im Osmanischen Reich galt man noch als frei von der Pest, wenn man Flöhe an sich oder der eigenen Kleidung entdecken konnte, denn das zeigte ja scheinbar, dass sich Lebewesen auf der Haut ansammelten, ohne durch die Pest zu sterben (soweit die Vermutung).

Interessant ist außerdem, dass Reiseberichte europäischer Autoren durch die Wiedergabe des von ihnen beobachteten Umgangs der Osmanen mit der Pest ein Klischee prägten, dass sich im Folgenden sehr lange hielt: Das des passiven oder gar fatalistischen Türken. So wurde beschrieben, dass es weder die in Europa schon bekannten Praxen der Ausräucherung oder Waschung kontaminierter Gegenstände gab, noch wirkliche Vorsichtsmaßnahmen gegen die Pest unternommen wurden. Dies sollte das Osmanische Reich gegen ein Europa kontrastieren, das sich selbst im aktiven Kampf gegen allerlei Krankheiten sehen wollte – insbesondere eben gegenüber dem von Seuchen geplagten Osten.

Genau durch dieses europäische Image wurden im späten 19. Jahrhundert japanische Vertreter einer neuen Gesundheitspolitik vom deutschen Kaiserreich angezogen, um sich dort inspirieren zu lassen, eine völlige Umgestaltung der japanischen öffentlichen Medizin und Hygiene zu veranlassen. Diese war bis dahin eher von traditioneller chinesischer Heilkunst geprägt. Nun aber nahmen Menschen wie Kitasato Shibasaburō Einfluss – ein japanischer Bakteriologe, der in Berlin mit Emil von Behring und Robert Koch zusammenarbeitete und von dem deutschen öffentlichen Bewusstsein für Hygiene beeindruckt war.
In Japan sollte Ähnliches gefördert werden, ganz nach dem Motto, einen mächtigen Staat könne es nur mit einer großen und gesunden Bevölkerung geben. Durch diese Überzeugung formierte sich die neue Hygienepolitik auch mit autoritären Mitteln: Die Einhaltung von Anordnungen zur Impfung und Epidemienprävention wurden durch ein sich formierendes modernes japanisches Polizeisystem kontrolliert, das sich auch genau dadurch erst entwickelte. Es gab nämlich auf Seiten der Herrschenden eine große Angst vor der disruptiven Kraft einer Epidemie in Bezug auf die Gesellschaft – Dynamiken, die wir in heutigen Zeiten wieder beobachten können.

Eine erhebliche Rolle spielte die neue Hygienepolitik im russisch-japanischen Krieg, da dem japanischen Kaiserreich nun bewusst war, dass man ohne öffentliche Gesundheit kein großes Militär erhalten, tausende von Männern kasernieren und letzten Endes einen Krieg gewinnen kann. Der Sieg Japans brachte also Prestige und Glanz auch dank des neuen Umgangs mit Hygienefragen.

Hier sehen wir Andeutungen eines politischen Konflikts, der sich während der aktuellen Pandemie in Europa bemerkbar macht: Den zwischen dem Wunsch jeder Regierung danach, Stärke zu zeigen und Ansehen dadurch zu gewinnen, den vermeintlich besten Umgang mit Covid-19 und die besten Hygienestandards zu haben, und gleichzeitig aber nicht so weit zu gehen, dass einem die eigene Bevölkerung autoritäre Maßnahmen und den Eingriff in die Privatsphäre vorwerfen könnte (wie beispielsweise durch einen Impfzwang, der hierzulande von einigen VerschwörungstheoretikerInnen herbeifantasiert wird).
Die damalige japanische Führung entschied sich mit dem Ausbau des Polizeiapparats natürlich deutlich, heutzutage aber sind Regierungen viel stärker in der Erklärungsnot für jegliche Maßnahmen und deren Aufrechterhaltung.

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